Gerhard Hübener

Die Umweltbewegung muss raus aus ihrer Nische

Der nachfolgende Beitrag geht noch einmal direkt auf die Rolle der Umweltbewegung und -politik ein. Die Frage ist, ob die bisherige Strategie ausreicht oder ob die Umweltbewegung sich weiter gehenden Fragen stellen muss.

Dieser Artikel ist entstanden als Vorwort der Nachauflage zur Textsammlung "Den Tanker umsteuern!" im Januar 2005. – Anmerkung vom Januar 2008: Diese Frage wird auch nicht durch die aktuelle Klimadebatte entschärft.

"Umweltpolitik muss sich heute weniger für die Lösung der eigentlichen Umweltprobleme als für die Änderung der Rahmenbedingungen einsetzen... Ganz konkret verschläft die Umweltbewegung gegenwärtig die Debatte über die Reform der Sozialsysteme..."

Thilo Bode, Ex-Greenpeace-Chef, in "Die Krise der Umweltbewegung", taz 27.10.04

Thilo Bode hat sich mit massiver Kritik an der Umweltbewegung zu Wort gemeldet. Mit Recht. Was ist aus den einst so kampfstarken Umweltorganisationen geworden? Haben sie tatsächlich keine Botschaft mehr, weil ja angeblich alles schon gesagt ist? Selbst Greenpeace fallen keine zugkräftigen Kampagnen-Themen mehr ein, wie der SPIEGEL berichtete (SPIEGEL 45/2004). Allen Klimaängsten zum Trotz - Deutschland bewegt seit Monaten ganz andere Fragen: Hartz IV, die Reform der Sozialsysteme, die Abwanderung von Arbeitsplätzen gen Osten. Wer da nichts zu sagen hat, muss sich mit einem Platz auf den hinteren Rängen begnügen. Reforminitiativen und Konzepte zur Reform von Arbeitsmarkt und Sozialsystemen schießen wie Pilze aus dem Boden. Deutschland muss sich ändern, um wieder zukunftsfähig zu werden. Es geht um den Erhalt von Arbeitsplätzen und den Umbau des Sozialstaates. Umweltorganisationen fallen durch großes Schweigen auf. Gibt es keine Konzepte, um die sozialen wie die ökologischen Zukunftsfragen gleichermaßen im Blick zu behalten?

Das war mal anders. Das Konzept zur Ökologisch-Sozialen(!) Steuerreform sollte genau diese Frage beantworten. Die Verteuerung von Ressourcen und Umweltbelastung sollte mit einer Senkung von Lohnnebenkosten verbunden werden und so die Marktwirtschaft sinnvoll umgesteuert werden. In der Diskussion um die Reform der Sozialsysteme wurde sie nicht einmal mehr erwähnt. Von Umweltpolitikern und -verbänden kam zwar immer mal wieder die Forderung nach der Ökosteuer, aber vorrangig aus ökologischen Gründen. Gleichzeitig sinkt das Ansehen der Ökosteuer weiter ab. Nach der letzten Studie zum Umweltbewusstsein der Deutschen stieg die Ablehnung der Ökosteuer auf nun 58 Prozent. Die Zustimmung sank gleichzeitig auf 26 Prozent. Fast drei Viertel empfinden die ökologische Steuerreform als sozial ungerecht (Quelle: Umweltbundesamt).

Wie reagiert man auf solche Umfrageergebnisse? Zur Erinnerung: noch im September (2004) hätte kaum jemand Wetten für die Zukunft der Rot-Grünen Koalition abgegeben. Nur weil keine andere Alternative blieb, hatten sich Schröder und Co. mit Entschlossenheit hinter die Hartz-Gesetze gestellt. Nun gilt er als standhafter Reformer und die Umfragewerte steigen seit Wochen. Wer hat bisher mit gleicher Energie für die Ökosoziale Steuerreform gekämpft? Wo gab es eine derart umfangreiche Informationskampagne? Dabei ändern die Hartz-Gesetze, im Unterschied zur Ökosozialen Steuerreform, wenig bis gar nichts an der eigentlichen Ursache der Krise am Arbeitsmarkt – der sinnlosen Verteuerung menschlicher Arbeitskraft durch hohe Sozialabgaben und Lohnsteuern.

Wer thematisiert die Fehlsteuerung des Tankers Marktwirtschaft?

Das Problem bleibt also aktuell. Wer thematisiert die Fehlsteuerung des Tankers Marktwirtschaft? Und wer setzt sich mit Energie für eine solche Reform ein? Natürlich gibt es zum Thema Klimaschutz inzwischen den Handel mit Emissionslizenzen. Abgesehen von aller Kritik an diesem Instrument muss das Konzept einer kontrollierten Schadensbegrenzung - hier die Festlegung der „noch zulässigen Belastung“ der Erdatmosphäre - grundsätzlich infrage gestellt werden. Wenn wir nur dieses Ziel im Blick haben, werden wir zwangsläufig scheitern. Das zeigt sich schon an der Zielstellung der Klimaschützer, den Temperaturanstieg der Erdatmosphäre auf 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Wir sind jetzt erst bei plus 0,6 Grad und stellen erschrocken fest, dass wir kaum etwas über die Labilität der globalen natürlichen Systeme (Meteorologie, Meeresströmungen etc.) wissen. Wir sollten anerkennen, dass wir „Russisch Roulette“ spielen, wenn wir so weiter machen. Es geht ja nicht nur um die Gefahr der Klimaveränderungen, so gravierend die Folgen auch sind. Genauso geht es um das Problem der sinkenden Trinkwasser-Vorräte, des Raubbaus an Rohstoffen, der Überfischung der Weltmeere, der zerstörenden Wirkung der industriellen Landwirtschaft, der Zerstörung ganzer Landschaften und dem Aussterben von immer mehr Tier- und Pflanzenarten. Nicht zu vergessen auch die mit all dem einher gehenden sozialen und kulturellen Zerstörungen.

Wir müssen raus aus der gegenwärtigen Orientierungslosigkeit. Wir müssen an der Wurzel des Übels ansetzen – dem falschen Leitbild der Marktwirtschaft. Wir brauchen eine Neu-Orientierung für die nun globalisierte Marktwirtschaft und damit auch für die gesamte (von ihr in Geiselhaft genommene) Gesellschaft. Es gibt zwar das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung. Wer aber nimmt dieses ernst? Weder die Wirtschaft noch die Öffentlichkeit. Wer kann auch aus dem bisherigen Nachhaltigkeitskonzept eine realistische Strategie für die Wirtschaft erkennen? Welche auch Antworten zur Frage der Arbeitslosigkeit beantwortet, welche auch und gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten taugt?

Thilo Bode hat Recht. Alle Erfolge im Umweltschutz sind letztlich fragwürdig, wenn nicht endlich die Rahmenbedingungen stimmen, die jedem Unternehmen nachhaltiges Wirtschaften als wirtschaftlich sinnvoll erscheinen lässt. Solange Umweltschutz aus Marketing- statt aus marktwirtschaftlichem Gründen unternommen wird, ist die ganze Richtung falsch.

Was aber tun, wenn die Ökosteuer und damit die ganze Ökosoziale Steuerreform so sehr in Misskredit geraten ist? Es wird Zeit, diese Frage genauer zu untersuchen. Warum werden nicht die vielen kleinen Gelegenheiten im politischen Alltag diskutiert? Zum Beispiel bei der Gesundheitsreform. Genau hier wäre sichtbar die Doppelfunktion (Lenkungs- und Finanzierungsfunktion) von sinnvoll lenkenden Abgaben zu zeigen. Es wäre das Paradebeispiel für die ganze Ökosoziale Steuerreform. Leider haben die Umweltverbände sich hier völlig raus gehalten. (Angelika Zahrnt, BUND-Vorsitzende: „Aber als Umweltverband werden wir zu Sozialthemen kaum gehört. Uns wird da wenig Kompetenz zugestanden.“ Thilo Bode: „Dann muss man sich solche Kompetenz eben aneignen und sie mit langem Atem verteidigen.“ (taz 14.12.04)

Allerdings zeigt die Haltung von Thilo Bode zur Kopfpauschale der CDU – „ökologisch der bessere Weg“ (taz 14.12.04) – nur die bestehende Orientierungslosigkeit.

Gerade wurde eine Erklärung von 24 Verbänden zur Weiterführung der Ökologischen Steuerreform veröffentlicht. (Dezember 2004) Es wurde zwar auf die Notwendigkeit der Senkung von Lohnnebenkosten verwiesen Aber wieder einmal fehlt jeder konkretere Hinweis auf die laufende Debatte zur Reform der Sozialsysteme. Diese „Einäugigkeit“ zeigt sich auch im verwendeten Begriff „Ökologische Steuerreform“, der die soziale Seite der Reform schon im Begriff unterschlägt. Es hat sehr viel mit der Blickrichtung zu tun, die vorwiegend auf die ökologische Seite gerichtet ist. Kein Wunder also, dass unter den beteiligten Verbänden nur eine Gewerkschaft dabei ist – die Gewerkschaft Bau, Agrar, Umwelt (siehe http://www.oeko-steuer.de/).

Wie schaffen wir es, die Fehlsteuerung des Tankers Marktwirtschaft ins öffentliche Bewusstsein zu holen (dieses Bewusstsein existiert ja überhaupt nicht)? Wie zeigen wir, dass diese Umsteuerung nicht nur aus ökologischen Gründen notwendig ist? Wie zeigen wir, dass Finanzierungs- und Lenkungsfunktion zusammen gedacht werden sollte? Wie machen wir klar, dass z.B. der Aufbau Ost besser über sinnvoll lenkende Energiesteuern, die Gesundheitsreform sinnvoller über Gesundheitsabgaben finanziert werden kann? Wie könnte ein vorwiegend (energie)steuerfinanziertes Sozialsystem aussehen?

Und wer bringt diese Fragen in die öffentliche Debatte? Wer thematisiert die Fehlsteuerung des Tankers? Wer macht deutlich, dass diese Reform auch das sinnvollste Arbeitsmarktinstrument ist? Dass genau hier auch die Lösung für die Reform der Sozialsysteme zu suchen ist? Wo ist die Reforminitiative, die das neue Leitbild und die notwendige Umsteuerung politikfähig macht? Last not least: wer macht endlich eine intelligente Kampagne für diese sinnvollste aller Reformen?

Bevor die Umweltverbände nun wieder mehr öffentlichen Druck machen, was im Prinzip auch richtig ist, sollte geklärt werden, mit welchem grundsätzlichen Konzept man in diese Auseinandersetzung gehen will. „Gut gemeint“ reicht nicht aus. Der Streit um Hartz IV zeigt, dass selbst Demonstrationen mit Tausenden von wütenden Demonstranten wenig bewirken, wenn ein überzeugendes Gegenkonzept fehlt. Selbst wenn in Zukunft wieder eine erhöhte Sensibilisierung für ökologische Themen zu erwarten ist, bleiben die sozialen Probleme in nächster Zeit dringlicher. Wir kommen nicht umhin, endlich beide Grundprobleme im Zusammenhang zu betrachten.


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